Klimaneutrale Lebensmittel: was hinter dem Begriff steckt und wie Lebensmittelunternehmen ihren CO2-Verbrauch senken
Der Bedarf an Lebensmitteln steigt mit der wachsenden Weltbevölkerung. Gleichzeitig ist die moderne Lebensmittelproduktion mit verantwortlich für den Klimawandel, der unsere Lebensgrundlagen bedroht. Eine aktuelle Studie der University of Sydney geht davon aus, dass 30 Prozent aller vom Menschen produzierten Treibhausgasemissionen auf globale Lebensmittelsysteme zurückgehen.
Einer wachsenden Zahl an Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Unternehmen ist dieses Dilemma bewusst. Die Nachfrage nach klimaneutral produzierten Lebensmitteln nimmt zu. Aber was bedeutet Klimaneutralität in der Lebensmittelproduktion? Und wie können Hersteller, Handel und Logistikunternehmen das Klima schützen? Hier beschäftigen wir uns mit diesem Thema und den damit verbundenen Herausforderungen.
„Klimaneutrale Lebensmittel“? – eine Definition
Ein Produkt ist klimaneutral, wenn es die Gesamtmenge der CO2-Emissionen in der Atmosphäre nicht erhöht.
Dies lässt sich in der Lebensmittelproduktion durch einen zweistufigen Prozess erreichen:
- Hersteller, Handel und Logistikunternehmen verringern CO2-Emissionen durch gezielte Maßnahmen, zum Beispiel kürzere Lieferwege oder die Umrüstung von Maschinen.
- Was übrig bleibt, wird kompensiert. Zum Beispiel durch Investitionen in Aufforstungsprojekte.
Gut zu wissen: Keine Treibhausgase bei der Produktion von Lebensmitteln auszustoßen, ist kaum möglich. Kompensationen spielen deshalb eine wichtige Rolle für klimaneutrale Lebensmittel. Allerdings sind viele Investitionen in Klimaschutzprojekte umstritten. Denn ob beispielsweise gepflanzte Bäume später einmal so viele Treibhausgase binden wie Berechnungen heute ergeben, lässt sich schwer vorhersagen. Auch ist es mit Herausforderungen verbunden, den Erfolg von projektbezogenen Emissionsreduktionen in weit entfernten Ländern zu überprüfen. Nicht zuletzt deshalb macht es einen Unterschied, wie groß der Anteil von Kompensation an der Klimaneutralität von Produkten ist.
Warum eine klimaneutrale Lebensmittelproduktion immer wichtiger wird
Lebensmittel klimaneutral herzustellen und zu vertreiben, bringt Vorteile auf verschiedenen Ebenen mit sich:
- Zentraler Beitrag zum Klimaschutz: Der Klimawandel bedroht auch die Geschäftsgrundlagen der Lebensmittelproduzenten und des Handels. Ohne eine klimafreundlichere Produktion von Lebensmitteln wird er sich aber nicht aufhalten lassen.
- Verändertes Verbraucherverhalten: Oliver Eck, Geschäftsführer TÜV NORD Austria GmbH und Senior Vice President Food and Agriculture Western Europe, stellt seit längerem fest: „Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden sensibler, was Lebensmittel angeht.“ Das zeige sich zum Beispiel an dem Interesse an regional produzierten, nachhaltigen Lebensmitteln oder an der immer größer werdenden Gruppe von Vegetarier:innen und Veganer:innen. Laut Statistiken ist die Zahl derjenigen Menschen in Deutschland, die ihre Ernährung vegan oder weitgehend fleischlos gestalten, in den letzten Jahren stetig gestiegen. Zwar ist vegan nicht automatisch klimaneutral, aber die Entwicklung spiegelt einen Trend hin zu mehr Umweltbewusstsein wider. Mit klimaneutralen Lebensmitteln können Anbieter diesen Trend bedienen.
- Gesetzliche Bestimmungen: Durch Entlastungen und Vorschriften fördert der Gesetzgeber einen sparsamen Ressourcenverbrauch.
- Einsparungen: Klimaneutralität kann Geld sparen. So lohnt es sich nicht nur aus Umweltschutzgründen, Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen.
All diese Entwicklungen führen dazu, dass die Entscheidung für Klimaneutralität die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in der Lebensmittelbranche steigern kann.
Dies gilt wohl langfristig. Oliver Eck geht davon aus, dass der Trend hin zu klimaneutral produzierten Lebensmitteln anhalten wird. Bestärkt wird er durch den Ukraine-Krieg und andere Krisen, genauso wie durch die immer stärker sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels.
Wo Unternehmen ansetzen können – Tipps für Produktion, Handel und Logistik
Wir haben es angedeutet: Ob Lebensmittel das Adjektiv klimaneutral verdienen, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Drei Ebenen sind dabei besonders wichtig.
1. Produktion
Wollen Lebensmittelproduzenten klimaneutral herstellen, sollten sie, empfiehlt Oliver Eck, vor allem zwei Bereiche in den Blick nehmen:
- Einmal sei es wichtig, Lieferketten zu hinterfragen. „Muss es immer das günstigste Produkt von weit weg sein?“ Der CO2-Fußabdruck von Lebensmitteln aus der Region ist in aller Regel geringer als der solcher, die aus Spanien oder gar Neuseeland kommen.
- Zum anderen spiele die Optimierung der eigenen Produktionsgebäude eine bedeutende Rolle. Dabei sei die Umstellung der Beleuchtung auf LED-Lampen weniger entscheidend als die Umrüstung energieintensiver Maschinen.
2. Handel
Auch im Handel ist der Energieverbrauch von Gebäuden ein Schlüsselfaktor. Große Supermarktketten wie REWE, Aldi oder Edeka setzen zunehmend auf Photovoltaik, um ihren Energieverbrauch zu decken. Effizientere Kühlsysteme senken den CO2-Verbrauch weiter und sparen Geld. Außerdem können Handelsunternehmen andere Schwerpunkte im Einkauf setzen und Konsumentinnen und Konsumenten gezielt mehr klimafreundliche sowie nachhaltige Lebensmittel anbieten.
3. Logistik
Schließlich spielt die Logistik eine zentrale Rolle dafür, ob Lebensmittel klimaneutral sind oder nicht. Das fängt bei den zurückgelegten Wegen an, hört hier aber noch nicht auf. Gerade der Betrieb großer Lagerhäuser eröffnet viele Möglichkeiten, den CO2-Ausstoß zu senken, zum Beispiel durch eine effiziente Kühlung. Klimafreundliche LKW-Antriebe eröffnen ebenfalls neue Wege, Emissionen zu reduzieren.
Labels und Zertifizierungen unter der Lupe
Letztendlich sind Verbraucherinnen und Verbraucher die entscheidenden Akteure. Sie aber stehen beim Einkaufen vor einem Dilemma: Zu erkennen, wie hoch der CO2-Verbrauch bei der Produktion von Lebensmitteln ist und ob diese das Prädikat „klimaneutral“ verdienen, ist alles andere als leicht. Schließlich hat nicht jeder die Zeit, zu Hause mit Onlinerechnern den CO2-Fußabdruck von Lebensmitteln zu prüfen und CO2-Äquivalente zu vergleichen.
Eine Hilfe können Labels und Zertifizierungen sein. Doch auch das gelte nur bedingt, so Oliver Eck: „Es fehlt ein einschlägiges, unabhängiges Prüfzeichen wie das Bio-Label.“ Stattdessen gebe es von jeder Handelsmarke eigene Labels, die Konsumenten nicht kennen und denen sie oft nicht vertrauen. Deshalb sei es für Hersteller auch sinnvoll, sich auf wenige Labels zu beschränken.
Werfen Sie jetzt einen Blick auf eine Übersicht über wichtige Standards und Zertifizierungen in der Lebensmittelindustrie.
Exkurs: Der IFS ESG Check
Der International Featured Standard Food (IFS Food) ist einer der wichtigsten Standards für Unternehmen, die Lebensmittel verarbeiten, behandeln und verpacken. Noch neu ist der IFS ESG Check. Dabei handelt es sich um ein validiertes Self-Assessment für Unternehmen, die ein Nachhaltigkeitsmanagement erstellen und betreiben wollen. Ein Thema dabei sind die Energieverbräuche. Der Standard lässt sich auch als eigenständiger Standard nutzen, wenn das eigene Unternehmen nicht IFS-zertifiziert ist.
Klimaneutralität basiert auf vielen Maßnahmen
Lebensmittel ressourcenschonend herzustellen, wird immer wichtiger. Damit Lebensmittel die Bezeichnung Klimaneutralität verdienen, müssen allerdings viele grundlegende Weichen gestellt werden. Das fängt bei der Herkunft von Rohstoffen an und schließt die Umrüstung von Maschinen genauso ein wie die energieeffiziente Kühlung in Lagerhäusern. Erst dann sinkt der Anteil von Kompensationen, die notwendig sind.
Die Investitionen in solche Maßnahmen sind mit Aufwand verbunden, zahlen sich aber langfristig aus. Denn der Trend hin zu Nachhaltigkeit und Klimaneutralität wird auch die nächsten Jahre anhalten.
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