Patent auf KI anmelden – Herausforderungen in der Logistik

Patent auf KI anmelden – Herausforderungen in der Logistik

Beitrag vom 14.02.2022

Zur Themenwelt Logistik

Was Sie beachten müssen, wenn Sie ein Patent auf KI anmelden

Algorithmen gewinnen an Bedeutung in der Logistik. Ob in der Lagerhaltung oder der Transportoptimierung, künstliche Intelligenz eröffnet neue Möglichkeiten, Prozesse effizienter, kostensparender und sicherer zu machen. Damit wächst auch die Zahl der Patentanmeldungen für KI-Entwicklungen.

Allerdings ist Patentschutz für künstliche Intelligenz ein komplexes Thema, und wer ein Patent auf KI anmelden will, begegnet besonderen Herausforderungen. Worin diese bestehen und wie Unternehmen sie bewältigen, darüber haben wir uns mit Patentanwalt Moritz Ernicke unterhalten.

Exkurs: Was bedeutet KI in der Logistik?

Wenn wir von KI in der Logistik sprechen, meinen wir in aller Regel Systeme, die mithilfe eines komplexen Algorithmus Probleme lösen beziehungsweise Entscheidungen treffen können. Wichtig ist: Dabei handelt es sich um Probleme, für die die Maschine angelernt ist. Roboter, die selbstständig Aufgabenstellungen erkennen und sich Wissen dafür aneignen (starke KI), sind Zukunftsmusik.

Trotz dieser Einschränkung eröffnet künstliche Intelligenz bereits heute enorme Möglichkeiten, große Mengen unstrukturierter Daten in Rekordzeit zu verarbeiten, Muster zu erkennen und selbstständig Entscheidungen zu treffen.

Diese Möglichkeiten lassen sich sowohl in der Lagerhaltung als auch im Transport nutzen, zum Beispiel für

  • autonom fahrende Lagerfahrzeuge wie selbstfahrende Stapler und mittelfristig auch autonom fahrende Lkws,
  • intelligente Routenplanung,
  • optimierte Lagerplanung, zum Beispiel durch Prognosen zu künftigen Bestellungen anhand von Datenanalysen,
  • Predictive Maintenance (vorausschauende Instandhaltung).

Welchen Stellenwert künstliche Intelligenz in Zukunft haben wird, lässt sich an einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) ablesen. Sie prognostiziert bis 2030 einen Anstieg des weltweiten Bruttoinlandsproduktes um rund 14 Prozent allein durch KI-Innovationen. In Deutschland sind es immerhin noch 11,3 Prozent.

Auch Moritz Ernicke beobachtet, dass der „Bereich künstliche Intelligenz“ stark wächst. „Einer der wichtigsten Treiber dafür ist vermutlich, dass es mittlerweile vortrainierte Algorithmen gibt, die man mit wenigen Adaptionsschritten an einen Anwendungsfall anpassen kann.“ Außerdem sei das Thema inzwischen an den Hochschulen verankert.

Wann es sinnvoll ist, ein Patent für KI anzumelden

Ob es Sinn macht, Patentschutz für eine KI-Entwicklung zu beantragen, hängt laut Moritz Ernicke vor allem von einer Frage ab: „Wie viel Geld wird mit der Entwicklung in Zukunft voraussichtlich verdient beziehungsweise wie groß ist der wirtschaftliche Nutzen?“

Meist sind an der Entwicklung von KI-Systemen mehrere Akteure beteiligt. Sie ziehen einen unterschiedlich großen Nutzen aus dem System, melden unterschiedliche Patente an und verfolgen verschiedene Ziele mit diesen.

Welche Bestandteile von KI-Entwicklungen lassen sich patentieren? – Ein Beispiel

Um die Mehrschichtigkeit von Patentanmeldung für KI zu demonstrieren, führt Moritz Ernicke folgendes Beispiel an: Mithilfe eines KI-Verfahrens soll ein autonom fahrendes Logistikfahrzeug in einer Unfallsituation entscheiden, welches von zwei Objekten schutzwürdiger ist.

Hat es also die Wahl, ob es mit einer Mülltonne kollidiert oder einen Lagermitarbeiter anfährt, soll es sich für Ersteres entscheiden.

In diesem Fall könnte es zum Beispiel zu folgenden Patentanmeldungen verschiedener Akteure kommen:

  • Der Fahrzeughersteller will einen Sachanspruch für das Fahrzeug selbst und einen Verfahrensanspruch für die Steuerung des Fahrzeugs anmelden.
  • Außerdem gibt es einen IT-Zulieferer, der vorgegebene KI-Architekturen für den Anwendungsfall adaptiert hat. Er möchte ein Entscheidungsverfahren schützen lassen – unabhängig von einem bestimmten Fahrzeug.
  • Der letzte Akteur im Bunde ist ein Forschungsinstitut, das einen Lerndatensatz entwickelt hat, mit dem die KI angelernt wurde. Dieser Datensatz enthält Bildinformationen zu visuell wahrnehmbaren Objekten wie Menschen, Mülltonnen, Regalen, Maschinen etc., ebenso wie Klassifikationsinformationen und Parameter zur Schutzwürdigkeit dieser Objekte. Auch eine solche Datenstruktur lässt sich schützen. Dasselbe gilt für Verfahren zur Erzeugung von Lerndatensätzen. Allerdings müssen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.

Kein Patent auf Software allein – Hürden bei der Patentierung von KI

Unternehmen, die KI-Systeme beziehungsweise Bestandteile von KI-Systemen entwickeln, stehen vor einer zentralen Herausforderung:

Ein Patent auf Software allein ist in Deutschland und Europa ausgeschlossen. Dasselbe gilt für mathematische Formeln. Die Erfindung muss „technisch“ sein.

Das heißt: Um ihre Entwicklung schützen zu lassen, müssen Unternehmen in der Patentanmeldung einen Bezug zur physischen Welt herstellen, indem sie beispielsweise die Art der zu verarbeitenden Dateninhalte definieren oder Sensoren/Aktoren in den Schutz einbeziehen.

In unserem Beispiel wäre es möglich, ein Patent auf Systeme oder Verfahren anzumelden, mit denen Bilder aus der Umgebung eines Fahrzeugs analysiert werden, die bestimmte Objekte zeigen. Schwierig ist es dagegen, Patente allein auf Lerndatensätze zu erhalten, unabhängig von Anwendungsfällen. Außerdem kann es notwendig sein, einen Lerndatensatz als physisch gespeichertes Softwareprodukt zu schützen, um Software patentieren zu lassen.

Davon abgesehen müssen KI-Entwicklungen die allgemeinen Anforderungen an Patente erfüllen. Dazu gehört, dass sich ihre Patentwürdigkeit am Stand der Technik bemisst. Vereinfacht gesagt heißt das, die Erfindung muss neu sein und sie muss auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

Das Timing ist wichtig: So gehen Unternehmen vor, um ein Patent auf KI zu erhalten

Ein entscheidender Faktor bei der Anmeldung von Patenten, ob KI oder nicht, ist laut Moritz Ernicke das richtige Timing:

  • Organisationen sollten das Patent früh genug anmelden, damit sie nicht vom Stand der Technik überholt werden.
  • Gleichzeitig sollten sie weit genug mit dem Testen sein, damit sie nicht in etwas investieren, das in der Realität nicht funktioniert.

Ausdrücklich warnt Moritz Ernicke davor, mit einem fertigen Prototyp auf potenzielle Kunden zuzugehen und das Patent erst anzumelden, wenn diese Interesse bekunden. Bevor ein Patent angemeldet ist, sollte stets mit allen externen Kommunikationspartnern eine Geheimhaltungsvereinbarung geschlossen werden. Aber selbst dann bestehe das Risiko, dass eine solche Vereinbarung vom Kunden gebrochen wird und dieser die Idee an einen Dritten weitergibt. Veröffentliche der Dritte die Idee, sei es in der Regel schwer, den Bruch der Geheimhaltungsvereinbarung durch den Kunden nachzuweisen.

Das Ergebnis: Eine Patentanmeldung ist nicht mehr möglich und Schadenersatz einzuklagen schwierig.

Stattdessen rät Moritz Ernicke, ungefähr ein Jahr vor der geplanten Produkteinführung eine nationale Erstanmeldung einzureichen:

  • Nach 8 bis 10 Monaten erhalten Patentanmelder dann einen Recherchebericht des Patentamts, auf dessen Basis sie die Schutzaussichten besser beurteilen können.
  • Sind die Aussichten gut, können Unternehmen innerhalb eines Jahres die gleiche Erfindung noch einmal als Nachanmeldung einreichen – beispielsweise für eine Schutzausweitung ins Ausland.
  • Die Nachanmeldung wird rückdatiert, soweit sie mit der Erstanmeldung überlappt. In diesem Zusammenhang spricht man von Prioritätsrecht. In die Nachanmeldung können aber auch Verbesserungen eingearbeitet werden.

Die Vorteile dieser Herangehensweise: Unternehmen stellen sicher, dass sie mit der ersten Anmeldung einen frühen Zeitrang beanspruchen, und sie können in der zweiten Anmeldung nachschärfen. Das heißt, sie können auf Basis der Erkenntnisse des Rechercheberichts Formulierungen im Patent nachschärfen und Details der Erfindung ergänzen, die sich als relevanter Unterschied herausstellen, um sich klarer vom Stand der Technik abzugrenzen und die Qualität des Patents zu verbessern.

Die Möglichkeiten sind da

Patente für KI-Entwicklungen in der Logistik zu erlangen, ist kein leichtes Unterfangen. Speziell die Tatsache, dass das deutsche und europäische Patentrecht nicht-technische Gegenstände vom Patentschutz ausschließen, kann eine Hürde darstellen. Denn was als technisch angesehen wird, lässt sich manchmal schwer voraussagen. Reicht es zum Beispiel aus, wenn Daten über eine elektronische Schnittstelle empfangen, verarbeitet und in anderer Form ausgegeben werden?

Dennoch, betont Moritz Ernicke, sei es meist möglich, einen Patentschutz zu erlangen, der die eigenen wirtschaftlichen Interessen abdecke. Dass sich das Europäische Patentamt regelmäßig mit dem Thema KI befasse, Veranstaltungen dazu gebe und seine Prüfungsrichtlinien erweitere, sei dabei ebenso eine Hilfe wie ein findiger Patentanwalt. Denn letzten Endes gehe es oft vor allem darum, die Erfindung auf mehreren Abstraktionsebenen zu beschreiben und die Formulierungen in einer Patentanmeldung flexibel zu gestalten, um sie an die aktuelle Rechtsprechung anpassen zu können.