Zwei Drittel aller Arbeitnehmenden in Deutschland machen nur Dienst nach Vorschrift. Ein knappes Fünftel hat innerlich sogar schon gekündigt.
Die Ergebnisse des aktuellen Gallup Engagement Indexes, der seit 2001 jährlich die emotionale Bindung von Arbeitnehmenden an Unternehmen misst, sind alarmierend. Denn zum einen haben sie gravierende wirtschaftliche Folgen. Das Statistische Bundesamt schätzt die Kosten durch Produktivitätsverluste im Jahr 2023 auf 132,6 bis 167,2 Milliarden Euro.
Zum anderen leiden viele Arbeitnehmende unter ihrer Unzufriedenheit mit ihrem Job. Je nachdem, wie tief diese reicht und wie lange sie anhält, kann sie schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, beispielsweise in eine Depression münden.
Um solche Folgen zu verhindern, ist es wichtig, dass Betroffene ihre Situation erkennen und darauf reagieren, je früher, desto besser.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den folgenden Fragen:
- Was heißt Arbeitszufriedenheit und wie entsteht Unzufriedenheit im Job?
- Woran merke ich, dass ich unzufrieden mit meinem Job bin?
- Was kann ich tun, um meine Situation zu ändern?
- Wie profitieren Unternehmen von Arbeitszufriedenheit?
Was bedeutet Arbeitszufriedenheit?
Arbeitszufriedenheit ist das Ergebnis einer subjektiven Bewertung: „Schlussendlich liegt immer ein Soll-Ist-Vergleich zugrunde“, so Tiana-Christin Schuck, Psychologin bei TÜV NORD MEDITÜV. „Ich habe, ob bewusst oder unbewusst, eine Art Soll im Kopf, das ich dann mit einem, ebenfalls sehr subjektiv geprägten Ist ins Verhältnis setze.“ Je nachdem, wie weit der Ist-Zustand vom Soll entfernt ist, fühlen sich Menschen zufrieden oder unzufrieden. Die Arbeitspsychologin Agnes Bruggemann unterscheidet sechs verschiedene Formen von Arbeitszufriedenheit und -unzufriedenheit, von der progressiven Zufriedenheit bis zur konstruktiven Unzufriedenheit.
Dabei verändert sich das Ergebnis dieses Soll-Ist-Vergleichs fortwährend. Zudem gibt es eine Reihe von Faktoren, die nichts mit einem Job zu tun haben und unsere Zufriedenheit beeinflussen, manchmal nur vorübergehend. Eine Nacht zu wenig Schlaf, das wissen wir alle, kann unser Empfinden für kurze Zeit massiv beeinträchtigen.
Gründe für verbreitete Arbeitsunzufriedenheit
Eine eindeutige Antwort auf die Frage, warum aktuell so viele Menschen in Deutschland mit ihrem Job unzufrieden sind, gibt es nicht.
Tiana-Christin Schuck sieht die vielen politisch-gesellschaftlichen Krisen der jüngsten Vergangenheit als mitverantwortlich, angefangen bei der Corona-Pandemie. Auch die wirtschaftlich angespannte Lage in Deutschland und die vielen Veränderungen im Arbeitsleben seien Faktoren, die die Arbeitszufriedenheit beeinflussen können. „Für die menschliche Psyche ist es wichtig, dass auf einen Prozess des Wandels eine Phase der Normalität kommt. Mein Eindruck ist, dass ein solcher Festigungsprozess in vielen Betrieben fehlt. Damit entsteht ein Gefühl von Veränderung als Dauerzustand.“ Durch die empfundene fehlende Sicherheit oder durch Überforderung kann die Arbeitsmotivation sinken, es entsteht ein Teufelskreis.
Schließlich spiele das Thema Führung in allen Studien eine Schlüsselrolle. „Die direkte Führungskraft hat typischerweise den größten Einfluss auf viele Faktoren bei der Arbeit, sei es Engagement, Motivation oder eben Zufriedenheit.“ Leider, so Schuck, bekämen viele Führungskräfte nicht die notwendigen Ressourcen oder hätten zu wenig Führungskompetenzen. „Gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, den Menschen zu sehen und wertegerecht, vor allem bedürfnisorientiert zu führen.“
1. Warnzeichen für Unzufriedenheit im Job erkennen
Tiana-Christin Schuck weiß aus ihren Coachings, dass Menschen dazu neigen, Warnsignale der Psyche zu übergehen. Besonders eindrücklich zeige sich das bei Menschen, wenn diese eine schwere Phase durchlebt hätten. „Ich höre oft den Satz: ,Ich war doch dabei, warum habe ich das damals nicht ernst genommen, dass ich ständig Probleme hatte, durchzuschlafen?‘“ Als einen möglichen Grund für langes Ignorieren vermutet die Psychologin, dass in der Gesellschaft immer noch zu wenig über Auswirkungen von Stress bis hin zu psychischen Erkrankungen gesprochen werde.
So entstehe bei Betroffenen der Eindruck, sie wären ein Sonderfall. Dabei zeichnet die Realität ein anderes Bild. Studien zufolge weist ein Drittel der deutschen Bevölkerung jedes Jahr eine oder mehrere klinisch bedeutsame psychische Störungen auf, und die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen ist seit 2012 um 48 Prozent gestiegen.
So oder so gelte: „Je früher man agiert, desto besser.“
Tiana-Christin Schuck rät dazu, zum Beispiel auf folgende Warnzeichen zu achten:
Körperliche Warnzeichen:
- Muskelverspannungen, vor allem im Nacken
- Magen-/Darmbeschwerden
- Schlafstörungen
- Engegefühl in der Brust
- Herzklopfen
Emotionale Warnzeichen:
- Innere Unruhe
- Innere Leere
- Lustlosigkeit
- Gereiztheit
- Teilweise übermäßige Euphorie
- Grübeln beziehungsweise eingeengtes Denken (immer das Gleiche denken)
- Konzentrationsstörungen
- Lethargie
Warnzeichen im Verhalten:
- Aggressives Verhalten
- Weinen ohne Grund
- Zähneknirschen/-pressen
- Ständiges Fußwippen
- Zunehmender Suchtmittelkonsum
Tipp: Eine Hilfestellung bei der Selbstanalyse bietet der WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden, kurz WHO-5.
2. Ursachen für die Unzufriedenheit analysieren
Hat man mehrere Warnzeichen festgestellt, ist es Zeit, die Ursachen dafür herauszufinden. So lässt sich auch feststellen, welchen Einfluss der Job und das Arbeitsumfeld auf das eigene Empfinden haben.
Dafür können Betroffene ein Vier-Felder-Schema auf ein Blatt Papier malen, das in einen roten (stressend) und einen grünen (schützend/stärkend) Bereich sowie jeweils in „interne Faktoren“ und „externe Faktoren“ aufgeteilt ist. Bei externen Faktoren handelt es sich um Faktoren, die außerhalb der eigenen Person begründet sind, also zum Beispiel um Arbeitsbedingungen.
Extern: Typische Stressoren, also Faktoren bei der Arbeit, die bei vielen Menschen Stress auslösen und krank machen können, sind
- Zeitdruck,
- Unterbrechungen und Störungen,
- ungenügende Informationen.
Extern: Ressourcen im Arbeitskontext, also Faktoren, die schützen und stärken sowie Stressoren abpuffern können, sind beispielsweise
- ein angenehmes Arbeitsklima,
- Austausch mit Kolleg:innen,
- Handlungs- und Entscheidungsspielräume.
Internal sind Faktoren, die in einer Person begründet sind
Intern: Beispiele für Risikofaktoren, welche das Potenzial haben, das Stresserleben der Person zu verschärfen, sind
- negative Glaubenssätze wie etwa „Alles, was ich tue, muss immer perfekt sein“,
- unerfüllbare Anspruchshaltungen,
- negative Erfahrungen.
Intern: Personenbezogene Ressourcen, also Faktoren, die in einer Person begründet sind und helfen, mit Anforderungen umzugehen, können sein:
- gute Kommunikation, zum Beispiel das Praktizieren der gewaltfreien Kommunikation,
- geschicktes Zeitmanagement,
- die Fähigkeit, nach der Arbeit abzuschalten,
- Nein sagen zu können,
- Erfüllung in verschiedenen Bereichen des Lebens zu finden.
Durch eine Selbstanalyse erkennen Betroffene, welche dieser Voraussetzungen bei ihnen gegeben sind und wo Bedarf besteht beziehungsweise Risikofaktoren vorliegen.
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Resilienz ist die persönliche Widerstandskraft in Situationen, die durch Stress, Zeitdruck oder Belastungen wie zum Beispiel die Auswirkungen der derzeitigen Corona-Pandemie geprägt sind. Solchen Herausforderungen souverän und stabil zu begegnen, ist ein echter Erfolgsfaktor in heutigen Arbeitsumfeldern. Denn nicht nur für Führungskräfte geht es alltäglich darum, Stress zu bewältigen und Rückschläge wegzustecken. Es stellt sich also eine entscheidende Frage: Wie werde ich resilient?
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Emotionen können uns überrollen, überfordern oder auch lähmen. Manche Menschen entwickeln gar Angst vor Gefühlen oder unterdrücken sie. Eine Reaktion, die auf Dauer sogar krankmachen kann. Äußerungen wie „Jetzt geht mir gleich die Hutschnur hoch“ oder „Da möchte ich mich nur noch verkriechen“ verdeutlichen uns im Alltag Wut, Angst und Kummer und sind selten gute Begleiter. Konzentriertes Arbeiten ist dann ebenso unmöglich wie wertschätzende und zielführende Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen.
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Wie sich Arbeitszufriedenheit fördern lässt
Die Arbeitszufriedenheit lässt sich auf verschiedene Arten verbessern beziehungsweise wiederherstellen. Auch hier ist die individuelle Situation ausschlaggebend. Ein Coaching oder eine Therapie können Menschen dazu motivieren, ihre Möglichkeiten zu nutzen, um belastende Umstände zu ändern, und ihre Resilienz zu verbessern, indem sie beispielsweise negative Glaubenssätze aufdecken und lernen, Gedankenschleifen zu stoppen.
Es kann auch sinnvoll sein, die eigene Arbeitsunzufriedenheit offen anzusprechen, gerade dann, wenn sie zum Beispiel auf Stressoren oder fehlenden Ressourcen bei der Arbeit beruhen. Vielleicht geht es Kolleg:innen ähnlich. Dann können sich Führungskräfte beziehungsweise Teams um Lösungen bemühen.
Gut zu wissen: Das Arbeitsschutzgesetz sieht die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung vor. „Grundsätzlich“, betont Tiana-Christin Schuck, „haben Arbeitgebende eine Fürsorgepflicht.“
Oft, schränkt Tiana-Christin Schuck ein, bleibe ein Rest, den es zu akzeptieren gilt. Dabei kann das Konzept der „radikalen Akzeptanz“ helfen. Es bedeutet: „Ich akzeptiere, was ich nicht ändern kann.“ Das sei alles andere als leicht – und trage entscheidend zu psychischer Widerstandsfähigkeit bei. Dabei meint Akzeptanz nicht, etwas zuzustimmen oder Tatsachen fortan positiv zu bewerten. Vielmehr geht es darum, zu akzeptieren, was unveränderbar ist, ohne dagegen anzukämpfen. Typischerweise ist es schmerzhaft, zu akzeptieren. Dann ist es wichtig, die Emotionen zu würdigen und möglichst die zugrunde liegenden Bedürfnisse zu befriedigen – mit neuen Ideen. Habe ich beispielsweise das Gefühl, bei der Arbeit zu wenig mitbestimmen zu können, kann ich mein Bedürfnis nach Gestaltung und Autonomie auch im Privaten, etwa durch ein Ehrenamt erfüllen.
Manchmal stelle ein Arbeitsplatzwechsel im Betrieb oder sogar eine Kündigung den letzten Ausweg dar, dann zum Beispiel, wenn Betroffene ein sehr schlechtes Verhältnis zu direkten Vorgesetzten oder permanent das Gefühl haben, gegen eigene Werte oder Bedürfnisse zu agieren.
Von Zufriedenheit am Arbeitsplatz profitieren alle
Ob Menschen in und mit ihrer Arbeit zufrieden sind, kann weitreichende Auswirkungen haben. Das beginnt beim eigenen Wohlbefinden. Gerade länger andauernde Unzufriedenheit im Job verursacht einen hohen Leidensdruck und birgt die Gefahr psychischer Erkrankungen.
Gleichzeitig leiden Unternehmen und die Wirtschaft mit. Denn unzufriedene Mitarbeitende bringen eine niedrigere Leistung. Die Gefahr steigt, dass sie krank werden und/oder kündigen. Nicht zuletzt finden Unternehmen leichter neue Mitarbeitende, wenn sie für eine attraktive Arbeitskultur bekannt sind.
Es lohnt sich also für alle Beteiligten, den Faktor Arbeitszufriedenheit im Blick zu behalten. Das beginnt damit, auf das eigene Befinden zu achten. Wer früh erkennt, dass er oder sie unzufrieden ist und warum, kann leichter etwas dagegen unternehmen. Häufig ist die Folge mehr Zufriedenheit mit dem eigenen Job und vielleicht sogar mit dem eigenen Leben.
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