Experteninterview zu Herausforderungen und Lösungen
Ein Energiemanagementsystem nach DIN EN ISO 50001 senkt Abgaben, spart Kosten und macht Unternehmen nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch wettbewerbsfähiger. Um von diesen Vorteilen zu profitieren, müssen Betriebe relevante Energieverbraucher (SEUs) und Energieleistungskennzahlen (EnPIs) ermitteln – eine Aufgabe, die in der Praxis oft schwieriger ist, als es die Theorie vermuten lässt.
Wir haben die langjährige Beraterin und Referentin für integrierte Managementsysteme Miriam Bunke gefragt, welche Herausforderungen SEUs und EnPIs mit sich bringen und wie Energiemanagementbeauftragte diese Herausforderungen meistern. Eine der zentralen Lehren aus dem Gespräch: Viele scheitern, weil sie es sich zu kompliziert machen.
Interview mit der Expertin Miriam Bunke
Miriam Bunke ist langjährige Beraterin und Referentin für integrierte Managementsysteme.
Was sind SEUs?
Miriam Bunke: Die DIN EN ISO 50001 definiert SEUs (Signifikant Energy Users) als die relevanten Energieverbraucher in einem Unternehmen.
Durch die Revision der Norm 2018 wurden diese explizit hervorgehoben. Das hat den Grund, dass es kaum möglich ist, ein ganzes Werk zu betrachten, um herauszufinden, ob eine energiebezogene Leistung gut oder schlecht ist. Deshalb konzentriert man sich auf die wesentlichen Verbraucher.
Welche Folgen hat das für Unternehmen beziehungsweise Energiemanagementbeauftragte?
Die Norm fordert Folgendes: Unternehmen müssen ihre signifikanten Energieverbraucher identifizieren. Sie müssen für diese SEUs Messungen durchführen, Energieleistungskennzahlen – sogenannte EnPIs – definieren und eine Ausgangsbasis für ihre signifikanten Verbraucher festlegen, um Leistungen zu vergleichen.
Das Problem dabei: Die meisten Unternehmen haben eine Art „Gemischtwarenladen“, in dem sie unterschiedliche Verarbeitungsverfahren einsetzen, zum Beispiel Fräsen, Schneiden oder Spritzguss. Da ist es schon nicht leicht, die signifikanten Energieverbraucher zu identifizieren. Zusätzlich müssen Verantwortliche die Treiber für den Energieverbrauch kennen, um die Energieleistungskennzahlen und die Ausgangsbasen zu identifizieren. Schließlich soll es auf dieser Basis möglich sein, den eigenen Energieverbrauch in der Zukunft zu prognostizieren.
Um es noch komplizierter zu machen, gibt es einen statischen und variablen Verbrauch. Dies soll durch die Energieleistungskennzahlen ausgedrückt werden. In diesem Zusammenhang spricht man von normalisierten Kennzahlen, für die statische Größen (wie zum Beispiel die Grundlast, Gebäudeinfrastruktur) eliminiert werden, um mit variablen Größen zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu kommen.
Dabei sind die in der Norm festgehaltenen Anforderungen sehr spezifisch, aber in der Praxis stellen sich viele Dinge als schwierig heraus.
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Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Miriam Bunke: Normen wie die ISO 50006 und ISO 50015, die als Leitfaden helfen sollen, die Normanforderungen der ISO 50001 zu konkretisieren, beschreiben genau, wie Verantwortliche Leistungskennzahlen bilden, Basen definieren und die Normalisierung vornehmen. Allerdings gehen diese Normen von einer vereinfachten Realität aus.
Wenn die Realität so einfach wäre, könnten Verantwortliche folgendermaßen vorgehen: Sie ermitteln zuerst ihren signifikanten Verbraucher und den statischen Verbrauch. Dann rechnen sie Letzteren heraus und ermitteln eine Korrelation zwischen Energieverbrauch und variablen Einflussfaktoren wie zum Beispiel der Produktionsmenge. Auf Basis dieser Korrelation können sie eine Normierung vornehmen und messen.
Leider entspricht das nicht der Praxis.
Eine große Anlage etwa, die mehrere Verarbeitungsschritte übernimmt, besitzt einen Motor, aber zusätzlich sind meist weitere Prozesse wie Transportprozesse damit verknüpft.
In diesem Fall stehen Verantwortliche vor den Fragen: Wie grenze ich meinen signifikanten Verbraucher ab? Wie komme ich zu den benötigten Informationen? Und wie kann ich messen – und zwar so, dass der Aufwand zur Datenermittlung in einem sinnvollen Verhältnis zu den angestrebten Zielen steht?
Sie könnten natürlich an jedem kleinen Motor ein eigenes Messgerät befestigen. Dann haben sie einen signifikanten Verbraucher mit 20 Messgeräten, die sie auswerten und überprüfen müssen. Und letztendlich ist die Datenqualität vielleicht nicht besser, als wenn sie sich dazu entschlossen hätten, das System zu vereinfachen.
Welche Tipps haben Sie für Energiemanagement-Beauftragte oder andere Personen, die mit dieser Problematik konfrontiert sind? Wie können sie diese Herausforderungen in der Praxis bewältigen?
Miriam Bunke: Zunächst einmal sollte niemand erschrecken, wenn er auf Probleme stößt, die so nicht von der Norm abgebildet werden. Außerdem ist es ratsam, nicht sofort nach Softwarelösungen und technischen Hilfsmitteln zu suchen, bevor man sich grundlegende Zusammenhänge angesehen hat. Die Wenigsten brauchen am Ende eine umfassende Softwarelösung, die das abbildet, was in der Praxis passiert.
Entscheidend sind ein technisches Verständnis und die Abbildung wesentlicher Faktoren – nicht nur der wesentlichen Verbraucher, sondern auch der wesentlichen Einflussfaktoren auf den Verbrauch. Wie können diese pragmatisch gemessen und abgebildet werden? Für viele besteht die große Herausforderung darin, Entscheidungen zu treffen und zu sagen: „Das sind unsere signifikanten Verbraucher, das ist pragmatisch messbar und bildet den wesentlichen Teil der variablen Größen und vielleicht auch statischen Größen ab“ und darauf ein System aufzubauen, mit dem sie in Zukunft ihre energiebezogene Leistung vergleichen können. Das steht in keinem Lehrbuch.
Also ist Vereinfachung der Schlüssel?
Miriam Bunke: Ich kenne Verantwortliche, die ein hochkomplexes System für eine Anlage entwickelt haben, von dem Mathematiker begeistert sind, das aber keinen praktischen Nutzen für die Steuerung der Anlage hat. Die betreffenden Personen haben dann eine Anlage in ihrem Werk abgebildet und kommen mit den anderen nicht hinterher. Das heißt, sie können gar nicht erreichen, was sie erreichen wollen.
Auf der anderen Seite gibt es die, die sich die Welt viel zu einfach machen, indem sie alle Energieträger in einen Topf werfen und sagen: Ungefähr stimmt das so. Ein solches System fällt spätestens bei einem anormalen Zustand in sich zusammen.
Viele meiner Kunden enden bei einfachen Systemen. Es gibt auch diejenigen, die von einem komplexen System und der Steuerung mit mehreren Variablen profitieren. Aber meistens ist es besser, an bestimmten Stellen nicht weiter ins Detail zu gehen. In der Praxis ist es einfacher, als viele denken, aber bedarf Abstraktionen.
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