Mehr Erfolg durch eine effektive Sicherheitskultur
Im Arbeitsstress eine Palette irgendwo abstellen, eine Schutzeinrichtung an einer Maschine manipulieren, damit es flotter geht, auf dem Weg zur Kantine eine Absperrung übersteigen: In vielen Unternehmen missachten Mitarbeitende regelmäßig Sicherheitsvorgaben. In Folge können Unfälle, teure Produktionsunterbrechungen und ein schlechtes Arbeitsklima entstehen.
Nur durch technische Maßnahmen lassen sich Probleme dieser Art nicht immer lösen. Vielmehr ist es entscheidend, eine effiziente Sicherheitskultur im Unternehmen zu etablieren.
Wir haben uns mit Nadine Kakarot, Arbeits- und Organisationspsychologin bei MEDITÜV, darüber unterhalten, was sich hinter diesem Begriff verbirgt und wie Unternehmen die schwierige Aufgabe meistern, sicheres Verhalten zu etablieren.
Was ist eine Sicherheitskultur?
Das Ziel einer Sicherheitskultur in Unternehmen ist laut Nadine Kakarot, „Methoden und Instrumente zu finden sowie anzuwenden, die sicheres Arbeitsverhalten fördern“.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen zwei elementare Fragen beantwortet werden:
- Warum verstoßen Mitarbeitende in bestimmten Situationen gegen Sicherheitsvorgaben?
- Was können Führungskräfte tun, um das Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeitenden zu stärken?
Die Vorteile einer effizienten Sicherheitskultur
Eine effiziente Sicherheitskultur zu etablieren, bringt entscheidende Vorteile mit sich:
- Einsparungen durch weniger unfallbedingte Fehlzeiten
- Gesunde und motivierte Arbeitskräfte
- Reduzierung von Produktivitätsverlusten durch sichere Abläufe und weniger Störungen
- Hohes Vertrauen bei Geschäftspartnerinnen und -partnern, Lieferantinnen und Lieferanten, Mitarbeitenden sowie Kundinnen und Kunden.
Zusammengefasst leistet eine effiziente Sicherheitskultur einen wichtigen Beitrag zum Geschäftserfolg. Auch Mitarbeitende profitieren von ihr. Denn wer arbeitet nicht gerne in einem Unternehmen, in dem alle aufeinander aufpassen und die Gefahr von Unfällen gering ist?
Die zentrale Rolle von Führungskräften
Nadine Kakarot hat die Erfahrung gemacht, dass das Verhalten von Führungskräften, Sicherheitsbeauftragten oder Sicherheitsfachkräften einen entscheidenden Einflussfaktor innerhalb einer Sicherheitskultur darstellt. „Wenn diese Personen Sicherheitsmaßnahmen umgehen oder nicht beachten, wirkt sich das wie ein Lauffeuer aus.“
Besonders tückisch: Trägt eine Führungskraft hundertmal einen Helm und einmal nicht, präge sich das eine Mal ins Gedächtnis ein. Die hundert Male zuvor würden dagegen kaum wahrgenommen.
Deshalb rät Nadine Kakarot dazu, bei der Etablierung einer positiven Sicherheitskultur in einer Organisation ganz oben anzufangen und Führungskräfte für ihre Modellwirkung zu sensibilisieren. Oft seien sie sich dieser nämlich nicht ausreichend bewusst.
Tipps, um sicheres Verhalten zu etablieren
Abgesehen von der Vorbildfunktion des Managements rät Nadine Kakarot Folgendes:
- Jedes Motiv dafür, warum Mitarbeitende Sicherheitsvorgaben missachten, sollte als ein wertvoller Hinweis angesehen werden.
- „Mit Kanonen auf Spatzen“ zu schießen, ist kontraproduktiv beim Etablieren einer effektiven Sicherheitskultur. Deshalb führt der erste Weg immer über Teamgespräche. Eins-zu-Eins-Gespräche sind erst sinnvoll, wenn eine Person wiederholt gegen Sicherheitsvorgaben verstößt. In der Praxis hat es sich bewährt, nicht gleich mit einer Abmahnung zu drohen, sondern nach den Motiven für die Verstöße zu fragen und darauf einzugehen, warum diese ein Problem darstellen und nicht einfach toleriert werden können.
- Wissensvermittlung in Form von Schulungen hilft, Risiken richtig einzuschätzen und das Sicherheitsbewusstsein zu fördern. Tools wie eine Sprungwaage können Mitarbeitenden die Gefahren unsicheren Verhaltens veranschaulichen. Damit sind sie die perfekte Ergänzung theoretischer Informationen.
- Oft lohnt es sich, auf Bedürfnisse von Mitarbeitenden einzugehen. Missachten diese zum Beispiel immer wieder eine Absperrung, um den Weg abzukürzen? Dann ist es vielleicht eine Lösung, die Absperrung zu versetzen. Voraussetzung dafür ist, dass sich dies praktisch umsetzen lässt.
Behaviour Based Safety – wie Unternehmen Schritt für Schritt eine Sicherheitskultur etablieren
Einen methodischen Ansatz für das Etablieren einer Sicherheitskultur bildet der Ansatz BBS (Behaviour Based Safety).
Er sieht folgende Schritte vor:
1. Zunächst werden von den Führungskräften oder gemeinsam von allen Mitarbeitenden sichere Verhaltensweisen definiert. Das kann beispielsweise die ideale Geschwindigkeit beim Fahren mit dem Gabelstapler in einer Lagerhalle sein oder die Höhe, in der Transportgut gestapelt wird. Hier gilt: je konkreter, desto besser. Natürlich sind dabei geltende Vorschriften und Normen eine wichtige Grundlage.
2. Im nächsten Schritt geht es darum, das eigene Verhalten und das der Kolleginnen und Kollegen zu beobachten. Dabei, so betont Nadine Kakarot, ist Fingerspitzengefühl notwendig. Denn Verhaltensbeobachtung wird häufig als eine vorausgehende Bedingung für Bestrafung erlebt.
3. Eine zentrale Rolle im BBS-Ansatz spielt positives Feedback. Der Schwerpunkt liegt darauf, andere für sichere Verhaltensweisen zu loben. Kritik sollte immer konstruktiv und spezifisch sein.
4. Gemeinsam im Team können Mitarbeitende überlegen, wie sie sich zu mehr Sicherheit motivieren. Je nach Unternehmen empfiehlt Nadine Kakarot, spielerische Ansätze in Betracht zu ziehen. Zum Beispiel kann eine Vereinbarung getroffen werden, dass Verursacher bei bestimmten Verstößen zwei Euro in eine Kaffeekasse zahlen.
Zertifikat für Sicherheit – die 5 Stufen der Safety Culture Ladder
Eine gute Sicherheitskultur lässt sich sogar zertifizieren. Die Basis dafür ist die Safety Culture Ladder (SCL), ein Sicherheitsstandard, der auf die niederländische Eisenbahn ProRail N.V. zurückgeht.
Die Safety Culture Ladder umfasst fünf Stufen, die jeweils ein bestimmtes Sicherheitsniveau in einem Unternehmen wiedergeben. Dabei bezieht sie Vertragspartnerinnen und -partner, Lieferantinnen und Lieferanten sowie Kundinnen und Kunden mit ein.
Welche Vorteile eine solche Zertifizierung hat? Sie zeigt anderen, dass Unternehmen Wert auf Sicherheit legen, und fördert das Vertrauen bei potenziellen Geschäftspartnerinnen und -partnern. Im Bau-, Energie- und Eisenbahnsektor wird eine SCL-Zertifizierung immer öfter zur Bedingung für Verträge oder die Teilnahme an Ausschreibungen gemacht.
Davon abgesehen eröffnet sie Möglichkeiten, das Sicherheitsbewusstsein in einem Unternehmen messbar zu machen. Führungskräfte oder Sicherheitsbeauftragte können den Status quo abschätzen und sehen, wo Handlungsbedarf besteht.
Eine funktionierende Sicherheitskultur zu schaffen, braucht Zeit
Eine effektive Sicherheitskultur in Unternehmen lässt sich nicht von heute auf morgen etablieren. Schließlich müssen dafür Einstellungen und Verhaltensweisen geändert werden, die sich oft über Jahre verfestigt haben. Vielmehr handelt es sich um einen langfristigen Prozess der sich nur Schritt für Schritt durchführen lässt. Aber der Aufwand ist es wert. Denn mit jeder kleinen Verbesserung der Sicherheitskultur erhöht sich der Return on Investment für alle Beteiligten.
Mit Beharrlichkeit und der richtigen Herangehensweise wird ein sicheres Arbeitsverhalten irgendwann so selbstverständlich wie das Anlegen des Gurtes beim Autofahren.
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