Arbeitsrecht für Führungskräfte

Arbeitsrecht für Führungskräfte

Beitrag vom 12.04.2023

Zur Themenwelt Führungskräfteentwicklung

Arbeitsrecht für Führungskräfte: So gehen Sie versiert mit rechtlichen Herausforderungen um

Lieferkettenprobleme, Teamzusammenhalt im New-Work-Umfeld, Restrukturierungsmaßnahmen, Kommunikation – Führungskräfte sehen sich täglich einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Was jedoch oft verkannt wird: Junge Manager:innen, die erstmalig eine Führungsposition übernehmen, müssen neben ihrer eigentlichen Führungsarbeit auch erst ihr Handwerkszeug erlernen. Wir haben mit Rechtsanwalt Ole-Jonas Bödeker gesprochen, der als Fachanwalt für Arbeitsrecht um die große Bedeutung arbeitsrechtlichen Know-hows vor dem Hintergrund der neuen Arbeitswelt und New Work weiß.

Rechtsgrundlagen des Arbeitsrechts: wichtige Arbeitsgesetze und kollektives Arbeitsrecht

Als Führungskraft im Arbeitsrecht den Überblick zu behalten, ist kein einfaches Unterfangen. Während nämlich der erste Gedanke zu den deutschen Arbeitsgesetzen (z. B. Kündigungsschutzgesetz, Bundesurlaubsgesetz) wandert, ist dies kaum die Spitze des Eisbergs.

Ist der identische Sachverhalt in zwei Rechtsquellen geregelt, hat die höherrangige Quelle den Vorrang (Rangfolgeprinzip). Sind Arbeitnehmer:innen jedoch durch die niederrangigere Quelle bessergestellt, so gilt diese (Günstigkeitsprinzip). Ist etwa im Arbeitsvertrag für den oder die Arbeitnehmer:in eine kürzere Kündigungsfrist festgehalten als in § 622 BGB, gilt für eine Kündigung im Arbeitsrecht die kürzere Frist, obwohl das BGB höherrangig wäre. Dies gilt jedoch nicht für eine Verkürzung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers, denn dies wäre für den oder die Arbeitnehmer:in nicht günstiger.

Zu den wichtigsten Gesetzen im Arbeitsrecht gehören:

Individualarbeitsrecht Kollektivarbeitsrecht
 
  • Bürgerliches Gesetzbuch
  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
  • Kündigungsschutzgesetz
  • Teilzeit- und Befristungsgesetz
  • Arbeitsschutzgesetz
  • Jugendarbeitsschutzgesetz
  • Berufsbildungsgesetz
  • Entgeltfortzahlungsgesetz
  • Mutterschutzgesetz
 
 
  • Betriebsverfassungsgesetz
  • Tarifvertragsgesetz
 

Was bedeutet Mitarbeiterverantwortung im rechtlichen Sinne?

Juristisch gibt es den Begriff „Mitarbeiterverantwortung“ nicht. In der Regel verstehen Personaler:innen hierunter vor allem die disziplinarische Verantwortung, also die Pflicht der Arbeitnehmer:innen, gegebene Weisungen des Arbeitgebers umzusetzen. „In der heutigen Arbeitswelt gibt es Branchen, in denen Führungskräfte ihr Direktionsrecht kaum noch ausüben. Moderne Führung beschränkt sich längst nicht mehr auf das bloße Erteilen von Weisungen, sondern räumt den Teammitgliedern Freiräume ein und fordert eigenständiges Arbeiten und Eigenverantwortung ein. Einseitige Weisungen spielen im innovativen New-Work-Ansatz und der selbstorganisierten Arbeitswelt eine eher untergeordnete Rolle“, führt Bödeker aus.

Arbeitsrecht für Führungskräfte: Hier erhalten Manager:innen Informationen

Möchte sich eine Führungskraft über das Arbeitsrecht informieren, ist das Internet häufig die erste Anlaufstelle. Allerdings hat sie hier keine Möglichkeit, die gewonnenen Informationen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Um Fehler bei wichtigen Themen im Arbeitsrecht wie Kündigungen oder Abmahnungen vorzubeugen, sollten sich Manager:innen ausschließlich auf seriöse Quellen verlassen. Bödeker schmunzelt: „Ich kenne Fälle, in denen Führungskräfte zu einer arbeitsrechtlichen Fragestellung googelten und nicht bemerkten, dass sie in einem österreichischen oder schweizerischen Gesetz gelesen hatten.“

Erster Schritt sollte immer sein, ein Seminar zum Arbeitsrecht für Führungskräfte zu besuchen, das in zwei bis fünf Seminartagen eine Einführung in das Thema vermittelt. Diese kurze Dauer ist jedoch allenfalls dafür geeignet, ein gewisses Problembewusstsein zu schaffen, ist sich Bödeker sicher. Arbeitsrechtsseminare für Führungskräfte haben zahlreiche Vorteile:

  • vertrauenswürdige Informationsquelle durch erfahrene Dozent:innen
  • geprüfte Inhalte
  • aktueller Überblick über ein sich schnell veränderndes Rechtsfeld
  • Austausch mit anderen Teilnehmer:innen
  • konkrete Antworten auf offene Fragen

Interessant ist der Vergleich mit der Schulung von neuen Betriebsratsmitgliedern. Diese haben nach ihrer Wahl Anspruch auf mindestens je drei dreitägige Seminare zum Arbeitsrecht und zum Betriebsverfassungsrecht – das sind insgesamt bereits 18 Tage Weiterbildung. So manche Führungskraft muss sich mit einer Kurzeinführung von nur wenigen Tagen begnügen oder besucht sogar überhaupt kein Seminar zum Arbeitsrecht. Auf dieser Basis ist es nicht möglich, sich sicher im Arbeitsrecht zu bewegen.

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Ansprechpartner für Führungskräfte mit Fragen zum Arbeitsrecht

Kommen sie bei einer arbeitsrechtlichen Fragestellung nicht weiter, sollten sich Manager:innen kompetente Hilfe suchen. Hierfür kommen mehrere Anlaufstellen infrage:

  • im Arbeitsrecht erfahrene Jurist:innen – häufig steht sogar im Unternehmen ein:e Jurist:in zur Verfügung
  • juristische Ansprechpartner:innen bei Arbeitgeberverbänden (oft kostenlose Auskunft, allerdings häufig langsame Reaktionsgeschwindigkeit)
  • Arbeitsrechtler:innen in der Personalabteilung

Um Verstöße gegen Formvorschriften zu vermeiden, sollten Führungskräfte schon frühzeitig bei ihrer Arbeitsrechtsberatung nachfragen. In größeren Unternehmen gibt es oft Checklisten, an denen sie sich orientieren können, so Bödeker.

Erlaubt das Arbeitsrecht dem Arbeitgeber, Rechte und Pflichten auf Führungskräfte zu delegieren?

Der Arbeitgeber kann seine arbeitsrechtliche Verantwortung durchaus an die Führungskräfte oder auch an die Mitarbeiter:innen selbst delegieren. „Im Bereich des sogenannten fachlichen Weisungsrechts ist das überall üblich. Der Arbeitgeber kann ja schlecht jedem:r einzelnen Arbeitnehmer:in täglich sagen, was er oder sie zu tun hat“, so Bödeker.

Aber auch Pflichten, die den Arbeitgeber treffen, lassen sich delegieren. Ein Beispiel ist etwa die Durchführung und Kontrolle von Regelungen zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer:innen.

„Führungskräfte müssen hier keine falschen Berührungsängste haben. Geht in arbeitsrechtlicher Hinsicht etwas schief, ist immer noch der Arbeitgeber der Anspruchsgegner, auch wenn er die Verantwortung zuvor an die Führungskraft delegiert hat. Käme es also zu einem Rechtsstreit mit Arbeitnehmer:innen oder Versicherungsträgern, würde die Führungskraft nicht Partei des Rechtsstreits werden. Allenfalls wäre denkbar, dass die Führungskraft im Rahmen der Arbeitnehmerhaftung vom Arbeitgeber in den – sehr eingeschränkten – Regress genommen wird, falls denn ein finanzieller Schaden vorläge“, so Bödeker. „Denkbar wäre natürlich auch, dass die Führungskraft, die den ihr übertragenen Pflichten nicht nachgekommen ist, arbeitsrechtliche Konsequenzen wie zum Beispiel eine Abmahnung erfährt.“

Aktuelle Herausforderungen im Arbeitsrecht für Führungskräfte

Führungskräfte sollten ihr Wissen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts stets aktuell halten, denn durch neue gesetzliche Regelungen und auch die deutsche und europäische Arbeitsrechtsprechung sind immer wieder Neuerungen zu erwarten.

Ein viel diskutiertes Thema ist etwa das von der Regierung geplante Homeoffice-Gesetz. Doch Bödeker entwarnt: „Das Recht auf Homeoffice ist so aktuell gar nicht umsetzbar. Der Mut für Veränderung liegt nicht auf gesetzlicher Seite, sondern resultiert aus neuen Bedürfnissen in der Arbeitswelt. Während das Arbeitsrecht noch immer darauf ausgelegt ist, den armen ‚Proletarier‘ am Fließband vor der Ausbeutung durch den Fabrikbesitzer zu schützen, sehen wir uns in der heutigen Arbeitswelt ganz anderen Anforderungen gegenüber. In vielen Branchen arbeiten Arbeitnehmer:innen eigenverantwortlich und wollen weniger einengenden Schutz, dafür aber mehr Möglichkeiten zur Selbstentfaltung. Solange wir in Deutschland diese Diskrepanz nicht überwinden, wird die Gesetzgebung dem vorherrschenden Bedarf in der Arbeitswelt immer hinterherhinken.“

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